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Bild: Joaquin Carfagna  on pexels.com

Kirchliche Gebäude in Transformation


Steinreich sind sie, die evangelischen Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen. Ihnen gehören „mehr als 74.000 Kindergärten, Pfarrhäuser, Kirchen, Kapellen und andere Gebäude“.


Das hat Folgen. Kirchenvorstände ächzen unter der Last eines hohen Gebäudebestandes und beschäftigen sich mehr mit ihren Häusern aus Stein als dem „Haus der lebendigen Steine“ (1. Petr. 2, 5). Pfarrer:innen werden zu Gebäude- und Haushaltssanierer:innen. Mitglieder- und Kaufkraftverluste zwingen zum Handeln. Und dennoch fällt es schwer, Gebäude zu verabschieden oder anders zu nutzen. Warum ist das so?

 

Warum fällt es so schwer, Gebäude zu verabschieden?


Zweifellos, die Schwierigkeiten von Gemeinden, Kirchenbezirken und Landeskirchen, ihren Gebäudebestand den neuen Gegebenheiten anzupassen, hängen auch mit Leitungsstrukturen zusammen: Die meisten Gebäude befinden sich im Besitz von Parochien. Überparochiale Entscheidungsgremien, die den Gebäudebestand für ein größeres Territorium neu ordnen könnten, gibt es noch kaum.


Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn genauso wirksam ist die feste Verankerung kirchlicher Gebäude in den Kirchenbildern der Entscheidungsträger:innen und Gemeindeglieder. Gebäudebestand und Kirchenkonzept korrelieren. Kirchliche Gebäude sind Teil gelebter Kirchenkonzepte, und damit in Gefühlen und persönlichen Erfahrungen von Menschen und in Praktiken kirchlichen Lebens fest verankert.

 

Kirchliche Gebäude sind Teil praktizierter Kirchenkonzepte


Mit den Gebäuden sind starke Gefühle durch persönliche Beziehungen und Erfahrungen verbunden: „Mein Vater hat an diesem Gemeindehaus mitgebaut.“ „Ich bin in diesem Gemeindezentrum groß geworden.“ Gebäude prägen Identitäten. Mehr Gebäude suggerieren: Wir sind wichtig, es geht voran. Weniger: Wir steigen ab.

Mit den Gebäuden sind Praktiken verbunden: Menschen treffen sich im Gemeindehaus zu Chorproben und Seniorenkreisen, nach Beerdigungen und zu Festen. In Kirchen taufen sie ihre Kinder, heiraten, feiern Ostern und Weihnachten.


Kirchliche Gebäude sind materielle Elemente eines Kirchenkonzepts, an denen Kirche erfahren wird. Die mit ihnen zusammenhängenden Praktiken, Erfahrungen und Gefühle enthalten ein Wissen darüber, was Kirche ist und wie Kirche geht. Wie Kirche mit Gemeindehaus geht, weiß man. Aber wie geht doing church ohne Gemeindehaus? Wie sich Gemeinde mit ihren Gemeindehaus-Gruppen (Chöre, Frauenkreise) auch punktuell ins Leben der Kommune einbringen kann, das weiß man. Aber ohne? Welche Funktion in der Kommune nimmt eine Gemeinde dann wahr? Und wie? Für solche Fragen fehlen Vorstellung und Know-how, und ein entsprechendes Kirchenbild als Orientierung („Ist das Kirche?“).


Warum also fällt es so schwer, kirchliche Gebäude zu verabschieden? Weil ihre Bedeutung nicht wirklich erfasst ist, wenn man sie losgelöst vom Kirchenkonzept betrachtet. Gebäude sind physische Elemente von Kirchenkonzepten, ohne die diese Kirchenkonzepte nicht gehen; wie ein Presbyter kürzlich sagte: „Ohne Gemeindehaus funktioniert Kirche nicht.“ Schafft man Gebäude ab oder nutzt sie anders, gerät auch das bisherige Kirchenkonzept, das bisherige doing church und das Wissen um Kirche ins Rutschen.

 

Kirchliche Gebäude werden mit Kirche verwechselt


Spätestens hier zeigt sich eine höchst relevante Verwechslung, die die Verabschiedung und veränderte Nutzung kirchlicher Gebäude erschwert. Was Kirche ist, wird von ihrer äußeren Erscheinung her definiert: Kirche, das sind das Kirchengebäude (sonntags um 10 Uhr, möglichst voll), das Gemeindehaus (mit vielen Gruppen und Kreisen, viel „Leben“), das Pfarrhaus, die Kindertagesstätte.


Theologisch ist es jedoch umgekehrt: Kirche ist eine Glaubens- und Handlungsgemeinschaft, die die Bestimmung hat, Zeichen des Reiches Gottes zu sein, die sie je zeit- und situationsspezifisch realisiert – dazu braucht sie dann gegebenenfalls auch Gebäude. Die Gebäude sind aber nicht das, was Kirche ausmacht, sie sind Folge eines Konzepts, das realisieren soll, was Kirche ausmacht. Was Kirche ist, ergibt sich nicht aus dem kirchlichen Gebäudebestand, der Gebäudebestand ergibt sich aus dem Kirchenverständnis und -konzept. Deshalb muss gefragt werden: Helfen uns unsere Gebäude, unserer Bestimmung nachzukommen, oder hindern sie uns daran und belasten uns?


Wenn Gebäude aufgegeben, aber das alte Kirchenkonzept, das alte doing church als Maßstab gelingender Kirche weiter vor Augen steht, dann muss das Ergebnis als Abbruch, als Verlust verstanden werden. Ganz anders, wenn Verkauf, Umwidmung, Nutzungserweiterung mit neuen Vorstellungen von Kirche, ihrem Verhältnis zur Gesellschaft, ihren Sozialgestalten einhergeht: Dann werden ein verringerter Gebäudebestand und neue Nutzungskonzepte zum Aufbruch, zu einer neuen Art Kirche zu sein in einer neuen, anderen Zeit, also Teil des normalen Wandels.


Der Protestantismus konnte es und er kann es wieder


Der Protestantismus hat mehrfach seine Kirchenkonzepte verändert und konnte deshalb Gebäude anders nutzen oder loslassen. Martin Luther entwickelte ein anderes Kirchenverständnis und delegitimierte das Ordenswesen – evangelische Landesherren verwandelten Klöster in Schulen, Universitäten, Verwaltungsgebäude. Pfälzer Protestanten entschieden 1818, lutherische und reformierte Gemeinden zu vereinen – und statt zwei Kirchen und zwei Pfarrhäusern an einem Ort, lutherisch und reformiert, reichten nun eine Kirche und ein Pfarrhaus. Auch die Scheune hinter der Kirche für den Leichenwagen war irgendwann verzichtbar, dort entstand der Gemeindesaal, den man für das neue Kirchenkonzept brauchte.


Nicht der Gebäudebestand macht die Identität von Kirche aus, sondern ihre Bezugnahme auf Gott. Die Gottes-Beziehung ist die innere Achse von Kirche und Gemeinde. Strukturen und Gebäude sind variabel. Sie sind Scharniere zu den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten. Ändern sich die Kontexte, werden diese Scharniere dysfunktional und müssen verändert werden, wenn Kirche lebendig, wenn eine Gemeinde „Gemeinde Gottes“ bleiben will (Apg. 20, 28 u. ö.).

die drei Dimensionen der Kirche


Viele Menschen engagieren sich für ihre Kirche, weil sie gut finden wie sie ist. Aber Mitglieder-, Kaufkraft- und Personalrückgang werden die Landeskirchen unvermeidlicherweise verändern. Die Frage ist nur, ob Gemeinden die Veränderungen erleiden – wütend, lamentierend, resignierend – oder sie mit Umsicht und weitem Blick voraus gestalten.


Die ausführliche Publikation von Herrn Dr. Schramm zum Thema finden Sie unter diesem Link.


Dr. Steffen Schramm

Dr. Steffen Schramm


Leiter des Instituts für kirchliche Fortbildung,

Geschäftsführer des Zentrums für theologische Aus- und Fortbildung





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